Der nachfolgende Text ist ein Versuch, (m)einen Weg zu beschreiben, der - im Gespräch mit den Dingen - in die künstlerische Arbeit mündet und auch zu einem erweiterten Kunstbegriff führt.
KUNST - Drei Wünsche
Im Märchen kann es sein, dass einem Menschen ein Wunsch gewährt wird; und manchmal sogar drei. Geschähe mir das, so würde ich - im glücklichen Fall von Geistesgegenwart - mir wünschen, wo immer im Leben ich mich aufhalte, in ein Gespräch kommen zu können; und dies nicht nur mit Menschen - mit ihnen, denke ich manchmal, ist es eigentlich am schwierigsten - sondern auch und zunächst vor allem: mit der 'außermenschlichen' Welt.
Ein Baum zum Beispiel spricht ja tatsächlich - eine Erfahrung, die immer mehr Menschen zu machen scheinen; er spricht zum Herzen. Und das Herz ist ja überhaupt der Raum für Begegnung, für Erkenntnis-, für Liebesgespräche. In ihm beginnen alle Dinge und Wesen zu sprechen, auch wenn sie äußerlich stumm sind: Der Stein spricht (Nelly Sachs: "Chor der Steine"), und das Blau des Himmels spricht sogar in jeder Jahreszeit anders. Die Sprache jedoch, die sie alle sprechen, kommt ohne Worte aus - und hat doch Wortcharakter. Sie tönt in der Stille, wird in ihr erfahrbar.
Beginnt man sie wahrzunehmen, stellt man sich diesem möglichen inneren Gespräch, so hat man ein - vielleicht sogar das - Lebensglück gefunden. Und ich sehe kein geeigneteres Mittel, diese Sprache hörbar, sichtbar zu machen, als die Kunst, den künstlerischen Ausdruck. Denn die Kunst ist eine Herzenssache wie das Gespräch auch (sein sollte, sonst ist es keines).
Zweiter Wunsch
Mit den kleinen und großen Erscheinungen, den Dingen und Wesen, innen und außen in ein Gespräch zu kommen, im Gespräch zu sein: ein erster Wunsch. Ein zweiter ist, durch diese Gespräche dem Geist, der in der Stille eines Schneekristalls oder auch eines herbstlich sich färbenden Baumes spricht und der ebenso lebt in der Verwandlung einer Raupe in einen Schmetterling, wo er zeigt, dass der Tod nichts anderes ist als Lebenswandlung, - diesem Geist durch eigene künstlerische Arbeit allmählich näher zu kommen, vielleicht ein wenig sich anzuverwandeln. Hat man die Formen eines Schneckenhäuschens, das Blütenkörbchen einer Ringelblume und erst noch das Werden eines Kohlweißlings bis in die kleinsten Details nicht nur gesehen sondern erlebt, so kann man eigentlich sich nur noch wünschen, in seinem eigenen Tun und Hervorbringen bis in die alltäglichen sozialen Prozesse hinein aus dieser Quelle zu schöpfen.
Dritter Wunsch
Gelingt es, die gemeinte Stille zu erzeugen, ihr nahezukommen und lassen sich die Dinge und Wesen auf solch stammelnde Gesprächsversuche mit mir ein, so würde ich als Drittes wünschen, dass auch sie zuletzt froh wären um die Ergebnisse, Prozesse, Gestaltwerdungen, sei es in Farben oder Worten, Objekten, Installationen, sozialen Handlungen oder worin auch immer. Denn das würde bedeuten, in der Sprache der Märchen: selbst aus dem Exil des Eigenseins - oder vielleicht besser: 'Fürsichseins' - erlöst in die Gemeinschaft der Dinge und Wesen einer sich immer weiter entwickelnden Welt zurückkehren zu können.
"Du weißt, wie die Gegenwart der Dinge zu mir spricht, ich bin den ganzen Tag in einem Gespräch mit den Dingen."
Goethe, Reisetagebuch
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